Die Welt ist ein Ort der Finsternis. Seit Generationen leben wir in einer unvorstellbaren Einsamkeit, umgeben von einem dichten Nebel, der sich wie eine Decke aus Asche über alles gelegt hat. Niemand verlässt die Stadt. Kein Wind bewegt die Wolken und nur wenig Sonne durchbricht das dichte Grau. Die Wiesen sind verschwunden, die Wälder unsichtbar und die weiten Horizonte, von denen in alten Erzählungen berichtet wird, sind nur noch Erinnerungen, wenn sie überhaupt jemals existiert haben. Wir leben in dieser Düsternis, gefangen in unserer kleinen Welt. Niemand weiß, was außerhalb des Nebels liegt oder ob es noch andere da draußen gibt und mit der Zeit hören wir auf, darüber nachzudenken. Erzählungen von einer Welt vor dem Nebel wirken wie Märchen, zu fremd und weit entfernt von der harten Realität. Es scheint, als ob alles, was einst Hoffnung gegeben hat, langsam verblasst. Als ob der Nebel nicht nur die Welt, sondern auch unsere Herzen verhüllt. Doch tief in der Seele eines jeden lebt etwas Fortwährendes – ein kleines Flüstern, das trotz der Stille und der Dunkelheit nicht verstummen will. Keine klare Hoffnung, kein leuchtendes Ziel, sondern eine stille Beharrlichkeit. Ein Gefühl, das selbst in den trostlosesten Momenten wie eine kleine Flamme brennt. Manchmal, in stillen Stunden, setze ich mich hin und denke nach. Mein Leben währt bereits länger als viele andere hier in der Stadt und trotzdem habe ich noch nie einen Ort außerhalb der Mauern erblickt. Ich setze mich hin, denke nach und schreibe. Ich schreibe für mich, um mir Mut zu machen. Vielleicht auch, um anderen Mut zu machen. Vielleicht kann ich mit meinen Worten Samen der Hoffnung streuen, auch wenn ich nicht weiß, ob sie jemals auf fruchtbarem Boden landen. Der Nebel, so undurchdringlich er auch ist, bedeutet nicht das Ende. Ich weiß nicht, warum ich das glaube – vielleicht weil es eine Zeit vor dem Aschenebel gab. Eine Zeit bevor die Welt verschlungen wurde. Und der Gedanke, dass es auch eine Zeit danach geben muss, beflügelt meinen Geist und reicht aus, um meine Feder weiter über das Pergament zu führen. Ich schreibe nicht, weil ich Antworten habe. Ich schreibe, weil ich weiß, dass es Fragen gibt, die noch gestellt werden müssen. Vielleicht ist die Dunkelheit nur ein Innehalten der Welt und nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Neuem. Und so schreibe ich über das Feuer in meinem Herzen. Über das Feuer, welches nicht erlischt und hoffentlich auch in anderen brennt. Über unsere Kraft, trotz allem weiterzumachen, auch wenn keine klare Zukunft in Sicht ist. Denn solange wir uns erinnern, solange wir glauben, solange wir träumen, ist der Nebel nicht alles, was wir sind. Manchmal blicke ich hinaus und frage mich, ob jemand meine Zeilen lesen wird. Ob es eine Zukunft gibt, in der sich der Nebel lichtet. Doch dann erinnere ich mich daran, dass es nicht um das Ereignis selbst geht, sondern um das Weiterschreiben, das Weitermachen – ein Akt des Mutes. So leben wir in unserer kleinen Welt, umgeben von Asche. Wir erzählen unseren Kindern Geschichten von früheren Zeiten, von Zeiten, die wir selbst nicht erlebt haben. Wir halten an einem Glauben fest, auch wenn wir selbst nicht genau wissen, woran wir glauben. Es gibt keine Karte, keine Wege, die uns aus unserer Gefangenschaft führen, doch es gibt Worte, Gedanken und Gewissheit – meine Gewissheit – dass der Nebel, so allgegenwärtig er auch ist, nicht das Letzte sein muss. Der Nebel verhüllt die Welt, aber er kann nicht das ersticken, was im Inneren von uns brennt. Die Flamme, so klein sie auch ist, wird bestehen – und das alleine macht den Unterschied.
für Darshiva und seine Völker
Firon Yitharin
… aus einer Zeit vor der Dämmerung