Der Fluch des Waldes

Die Kneipe war in Rauch und Schatten gehüllt, das Dröhnen der Stimmen und das Klirren der Krüge erfüllte die Luft. Die Kaufleute, satt vom Erfolg und berauscht vom Bier, waren sich sicher, dass sie die wahren Herren ihres Schicksals waren. Doch als der einäugige Kellner an ihren Tisch trat, verstummten die Gespräche für einen Moment. Das Narbengewebe, das sich wie ein bösartiges Netz über die linke Seite seines Gesichts spannte, sprach von einer Vergangenheit, die niemand zu hinterfragen wagte – bis jetzt.

„Was ist mit deinem Auge passiert?“ fragte einer der Händler schließlich, seine Stimme gesenkt, mehr aus Neugier denn aus Taktgefühl.

Der Kellner stellte die Krüge ab, er schaute die Kaufleute an mit einem Blick, der die Schärfe eines erlittenen Schreckens trug und begann zu erzählen. Seine Stimme war leise, aber sie schnitt durch den Lärm wie ein Messer durch weiches Fleisch.

„Gut, ich erzähle es euch. Aber ihr werdet wünschen, ich hätte es nicht getan.“

“Mein Dorf lag an der Flussmündung, ein friedlicher Ort, abgeschieden und ruhig. Wir waren Fischer, lebten von den Erträgen des Flusses und der wenigen Tiere, die wir am Rand des großen Waldes fangen konnten. Die Nerze, pelzige kleine Tiere mit glänzenden Fellen, waren ein seltenes Glück. Die Händler, die nach dem Aschenebel kamen, waren davon begeistert. Sie zahlten uns mehr Gold, als wir je gesehen hatten, für jedes einzelne Fell. Es war zu gut, um wahr zu sein. Für ein Dorf wie unseres war das ein Wunder.

Dann kam die Versuchung. Gerüchte von einer großen Ansammlung dieser Tiere weiter oben am Fluss machten die Runde. Dort, tief im Wald, sollte es sie in Hülle und Fülle geben. Aber jeder im Dorf kannte die alten Geschichten – Geschichten von Kreaturen, die in den Schatten lebten und jeden zerfleischten, der zu tief in den Wald eindrang. Die Alten nannten sie Marwolaeth. Niemand wusste, ob sie wirklich existierten, aber die Legenden waren Abschreckung genug.

Doch Gold hat eine Art, Legenden unwichtig erscheinen zu lassen. Eine kleine Gruppe von uns – sechs Männer und zwei Frauen – beschloss, den Fluss hinaufzufahren und unser Glück zu suchen. Ich war jung, dumm und hungrig nach mehr. Also schloss ich mich ihnen an.

Das Boot schnitt lautlos durch das trübe Wasser des Flusses, umgeben von der bedrückenden Stille des Waldes. Acht Männer und Frauen, schwer beladen mit Ausrüstung, saßen angespannt in der dämmernden Morgensonne, ihre Augen wachsam auf die dichten Bäume gerichtet, die sich wie dunkle Kathedralen über ihnen erhoben. Die Luft war feucht und schwer, und jeder Atemzug fühlte sich an, als müsse man gegen die Stille selbst ankämpfen.

„Das ist Wahnsinn“, murmelte Harim, ein breitschultriger Mann mit wettergegerbtem Gesicht, der am Bug saß. Seine Finger trommelten nervös auf den Griff seiner Machete. „Wir hätten auf die Alten hören sollen.“

„Die Alten reden viel“, entgegnete Gerim, ein magerer Mann mit scharfem Blick. Er grinste breit und hielt einen Nerzfellbeutel hoch. „Und wir bringen Gold zurück. Glaub mir, in ein paar Tagen werden sie uns Helden nennen.“

Keiner sprach weiter. Die anderen – darunter ich – hielten unsere Gedanken für uns. Es gab keine Helden in den Geschichten über den tiefen Wald. Nur Geister, Monster und jene, die nie zurückkehrten.

Der Fluss schien endlos. Das Wasser war von einem seltsamen Graugrün, und hier und da trieben Äste, die wie verdrehte Knochen wirkten. Über uns zogen die Äste der Bäume ein undurchdringliches Dach, das den Himmel fast völlig verbarg. Der einzige Laut war das leise Plätschern unserer Paddel, das uns allen wie das Schlagen eines Totenglocken vorgekommen sein muss.

Am späten Nachmittag erreichten wir unser Ziel: eine kleine Lichtung, wo der Fluss flach genug war, um ans Ufer zu waten. Dort, zwischen den Bäumen, fanden wir die Spuren: Kleine, fast unscheinbare Pfotenabdrücke, die sich wie eine Spur aus Goldstaub durch die weiche Erde zogen.

„Seht euch das an“, sagte Gerim triumphierend, kniete nieder und berührte die Spuren. „Sie waren hier. Viele. Wir werden reich sein.“

Wir schlugen unser Lager auf, errichteten eine Feuerstelle und spannten Netze zwischen den Bäumen. Die Jagd begann noch vor Einbruch der Dunkelheit. Die Tiere waren zahlreich, mehr, als wir erwartet hatten. Nerze mit Fellen so dicht und glänzend, dass es schien, als trügen sie den Glanz des Mondes selbst.

Doch bald nahm die Stimmung eine dunkle Wendung. Einer der Männer, Gerim, begann die Tiere bei lebendigem Leib zu häuten. „Das Fell bleibt besser“, sagte er, als das Blut über seine Hände floss. Die Schreie der Nerze – hohe, klagende Laute – hallten zwischen den Bäumen wider. Es war, als hätte der Wald aufgehört zu atmen.

Wir töteten sie schnell, packten die Felle und warfen die leblosen Körper beiseite. Einige von uns lachten sogar, tranken aus unseren Flaschen und sprachen von den Reichtümern, die uns erwarteten.

In dieser Nacht geschah es.

Ich erinnere mich daran, wie die Schatten der Bäume immer länger wurden, als das Licht des Feuers schwächer wurde. Gerim und zwei andere saßen dicht beieinander und redeten laut über Pläne, das Gold in der Stadt auszugeben. Harim hingegen war schweigsam. Er saß mit seiner Machete in der Hand und starrte in die Dunkelheit.

„Es fühlt sich falsch an“, murmelte er schließlich. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch in der stillen Nacht schien sie widerzuhallen. „Der Wald… er beobachtet uns.“

Gerim lachte. „Der Wald? Erzähl das lieber den Händlern, wenn du zurück bist. Vielleicht bezahlen sie dich für solche Geschichten.“

Doch niemand sonst lachte.

Dann hörten wir es: ein leises, tiefes Knurren, das von allen Seiten zu kommen schien. Die Haare auf meinem Nacken stellten sich auf, und ich packte die Axt, die neben mir lag. Es war kein normales Tiergeräusch. Es klang, als käme es aus der Kehle von etwas, das Schmerzen und Wut in sich trug.

„Was war das?“ flüsterte eine der Frauen, Tarya. Ihre Hand zitterte, als sie ihr Messer zog.

Gerim stand auf, die Hand auf seinem Schwertgriff. „Nur ein Tier“, sagte er, aber seine Stimme war nicht mehr so fest wie zuvor.

Dann bewegte sich etwas. Ein Schatten, fast zu schnell, um ihn zu sehen, huschte zwischen den Bäumen hindurch. Dann noch einer. Und noch einer. Augen – rot, glühend wie Kohlen, unmenschlich – blitzten in der Dunkelheit auf.

„Zum Feuer!“, rief Harim, und wir rannten zusammen, die Waffen in den Händen, die Augen hektisch in die Dunkelheit gerichtet.

Das erste Wesen kam lautlos. Es sprang aus den Schatten, ein verzerrtes Bild eines Lebewesens. Sein Körper war gedrungen, mit dunklen, knochenartigen Platten bedeckt, die wie Rüstung wirkten. Sein Gesicht war eine widerwärtige Fratze, verzerrte Schnauze, gefüllt mit gezackten, messerscharfen Zähnen, seine Klauen scharf wie Dolche, bereit zu töten. Es knurrte nicht, es schrie – ein durchdringendes, ohrenbetäubendes Geräusch, das wie das Kreischen von Metall auf Metall klang.

Es war Gerim, den es zuerst erwischte. Die Kreatur war auf ihm, bevor er sein Schwert ziehen konnte. Ihre Klauen gruben sich in seinen Hals, und das Blut spritzte in dicken Strömen auf die Erde. Er röchelte, bevor er überhaupt schreien konnte. Das Blut spritzte auf den Boden, und der Rest von uns geriet in Panik.

Dann brach das Chaos aus.

Die Kreaturen waren nicht nur stark – sie waren grausam. Sie jagten uns durch den Wald, schlachteten uns, wie wir vorher die Nerze geschlachtet hatten. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Minuten, vielleicht Stunden. Die Schreie meiner Gefährten verschwanden einer nach dem anderen, erst in der Nähe, dann in der Ferne. Einige kämpften, andere rannten, aber die Kreaturen waren überall. Ich sah, wie Tarya von einer der Kreaturen gepackt wurde. Ihr Messer war nutzlos, als die Klauen durch ihren Bauch fuhren. Ihr Schrei endete abrupt, als sie in die Dunkelheit gezogen wurde.

Ich rannte, stolperte über Wurzeln, während sie mir folgten. Ich rannte, bis meine Beine versagten, und selbst dann kroch ich weiter. Eine der Kreaturen erwischte mich, riss mich zu Boden. Ihre Klauen gruben sich in mein Gesicht, zogen über mein Auge, während ich vor Schmerz schrie. Ich spürte, wie die warme Flüssigkeit über meine Wange rann. Dann, plötzlich, ließ sie von mir ab. Sie sah mich an – ihre glühenden, schrecklichen Augen bohrten sich in meine Seele – dann drehte sie sich um und verschwand in der Dunkelheit. Es war, als hätte sie mich absichtlich verschont – als wollten sie, dass ich die Botschaft überbringe.

Ich schleppte mich zurück zum Boot, halb blind, halb wahnsinnig vor Angst. Der Fluss trug mich fort, während hinter mir die Schreie der Kreaturen und das Geräusch von reißendem Fleisch die Nacht erfüllten. Ich schaute nicht zurück. Irgendwie schaffte ich es, den Fluss hinunterzutreiben, bis ich das Dorf erreichte. Doch dort wollte niemand von meiner Geschichte hören. Sie sahen meine Verletzungen, hörten mein Gestammel von Monstern, und wendeten sich ab. Sie sagten, ich hätte den Fluch des Waldes gebracht.

Also ging ich. Ich wanderte ziellos, bis ich hier ankam.”

Der Kellner schwieg, und die Kaufleute saßen regungslos da, das Bier in ihren Krügen vergessen. Schließlich ergriff einer das Wort: „Glaubst du, diese Kreaturen waren wirklich Monster? Oder war es etwas anderes?“

„Es spielt keine Rolle, was sie waren,“ antwortete der Kellner. „Der Wald hat seine Regeln. Und wir haben sie gebrochen. Der Wald vergisst nicht. Und er vergibt nicht.“

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