Der Silbermond

Schnelle Schritte. Das Brechen von Zweigen und Gestrüpp. Ein wilder, gehetzter Atem. Ich rannte um mein Leben, dicht hinter mir ein ganzes Rudel Wölfe. Mein treues Ross war ihnen schon zum Opfer gefallen. Äste peitschten mir ins Gesicht und aus allen Richtungen ertönte das Heulen meines nahenden Endes. Das silberne Licht des Vollmondes schimmerte nur dürftig durch die dichten Baumkronen des Waldes. So war es kein Wunder, dass ich über eine etwas erhabene Wurzel stolperte und fiel. Ich schaffte es noch, mich auf den Rücken zu wenden und meinen unabwendbaren Tod in die Augen zu sehen. Gerade als das Rudel mit blutverschmierten Mäulern sich in Keilformation näherte, ertönte ein weiteres Geheul, welches die Wölfe zurückweichen ließ. Verunsichert fletschten die Wölfe ihre Zähne und sahen sich um. Ohne Vorwarnung stürzte sich plötzlich eine größere Gestalt auf den vordersten Wolf und wälzte sich mit auf dem Boden. Durch diesen plötzlichen Überfall wichen die restlichen etwas zurück und aus dem Dickicht hinter ihnen löste sich ein Rascheln, daraufhin brachen zwei weitere Wölfe in sich zusammen mit je einem Pfeil in ihren Körpern. Doch keiner der Pfeile hätte tödlich sein dürfen. Jetzt wurden die verbliebenen Wölfe panisch und wandten sich drohend zu mir. Aus den Baumkronen sprang ein kräftig gebauter Mann, doch aus meinem Rücken ragte eine Erhebung. Als der erste Wolf diesen ansprang, zog er seinen Unterarm über das Gesicht des Tieres, woraufhin nicht nur das Fell, sondern sogar die Haut abgetragen wurde. Winselnd und blutend zog sich der Wolf wieder zurück und ergriff mit dem anderen Rudelmitglied die Flucht. Schließlich ging der Blick wieder auf den ersten Wolf und die silberhaarige Gestalt. Auch dieser Wolf fohl geprügelt, mit einer tiefen Bisswunde im Nacken, nachdem die Gestalt von ihm abgelassen hatte.

Die silberhaarige Gestalt warf ihre langen Haare über ihre Schulter. Erst jetzt wurde die frauliche Figur sichtbar. Vor mir erstrahlte eine atemberaubende Frau im Glanz des Mondes. Silbernes Haar vom Kopf, ein silberner Schweif und ein zartes silber-weißes Fell auf den menschlichen Gesichtszügen. Sie wischte sich das Blut von den Lippen ab und klopfte sich den Dreck ab. Die junge Frau streckte sich und lächelte, als hätte sie sich gerade nur mit einem Kumpel etwas gerauft. Aus den Baumkronen glitt dann noch ein Mann mit Schwingen herab und fragte mich, ob ich verletzt sei. Sie luden mich ein, mich bei ihnen zu erholen, doch ich konnte meine Waren doch nicht im Wald zurücklassen. Der Geflügelte, der dich als Sirius vorstellte, meinte, es würde sich um meinen Wagen gekümmert werden. Ich glaubte ihm, während aus dem Dickicht hinter den zwei toten Wölfen zwei weitere Gestalten sich erhoben. Zwei weitere junge Frauen. Die eine mit roten Facettenaugen und zwei weiteren, kleineren Paaren auf ihrer Stirn. Ihre Arme und Beine waren mit schwarzem Chitin überzogen. Und die andere hatte eine unverkennbare, sandfarbene Hautstruktur. Es waren eindeutig feine Schuppen. Beide hatte einen Bogen bei sich und waren vermutlich die Schützinnen gewesen, die zwei der Wölfe erlegt hatten.

Gemeinsam von den fünf Fremden wurde ich durch den Wald geführt, bis wir zu einer gewaltigen Höhle kamen. Zunächst dachte ich mir, dass dir teilweise stählernen Waffen und Rüstungen nicht zu Höhlenbewohnern passten. Und ich behielt Recht. Die Höhle führte immer weiter in die Tiefe bis endlich wieder Licht zu sehen war. Was meine Augen dann erblickten war unbeschreiblich. Fein strukturierte, stilistische Gebäude waren sorgsam in den massiven Fels gearbeitet. Verschiedenste Personen, die alle signifikante Merkmale von unterschiedlichen Tieren aufwiesen, lebten hier scheinbar in Harmonie mit der Natur. Überall stand frische, gesunde grüne Bäume. Die Kinder spielten zwischen den Ästen und aß die Äpfel teilweise direkt vom Baum. Nachdem wir etwas durch die Stadt gewandert waren, kamen wir an einem großen Fluss an, aus dem eine Frau gerade auftaucht. Obwohl ihre Haute etwas farbenfroh aussah wirkte sie ziemlich menschlich auf mich, bis die sechs Fangarm, die aus ihrem Rücken wuchsen, die sechs Speere präsentierten, mit denen sie gut ein Dutzend Fische gefangen hatte. Ich staunte auch nicht schlecht, als ein einzelner Mann mit ledriger Haut und einem Horn auf seiner Stirn meinen Handelskarren zwar langsam, aber mit kaum merklicher Anstrengung durch die Straße schob. Nuar Shar, der Mann, dessen Haut scheinbar so rau war, dass sie sogar Fleisch zerreißen konnte, erklärte mir, dass sie sich als Wildtra bezeichneten. Ein menschliches Volk, welches gewisse Merkmale von Tieren aufwies. Jeder von ihnen hatte seine Spezialität, aber auch seine Schwächen. Die Wildtra, die besonders gut schwimmen und tauchen konnten, mussten an besonders heißen, trockenen Tag häufiger ins Wasser, um sich abzukühlen. Wildtra wie Karin und Sabrina, deren Gift kleine bis mittlere Tiere töten konnte, hatten keine große Körperkraft im Vergleich zu Ragnar, der den Karren geholt hatte. Für schnelle und taktische Kämpfe war er jedoch zu langsam. Sirius und Vivien waren für ihre Schnelligkeit und Beweglichkeit bekannt, doch sollte Nuar einem der beiden einen Treffer versetzen können, würden sie sich erstmal zurückziehen müssen. Mit den verschiedenen Stärken glichen sie die Schwächen ihrer Kameraden aus, was das Rudel besonders gefährlich für Feinde machte.

Während ich mich mit frischem gebratenem Fisch, gutem Wein und netter Gesellschaft verwöhnen ließ, wurden die Räder meines Karrens repariert. Schon am nächsten Morgen wurde mir ein neues Pferd für einige meiner Waren angeboten, woraufhin ich weiter meiner Wege ziehen konnte. Dennoch werde ich mir die verborgene Stadt Garra Feroz merken und vielleicht nochmals besuchen. Das nächste Mal als Händler und Freund der Wildtra.

Bericht von Sigmund Raphael, reisender Händler

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