Der singende Sumpf

Der Sumpf von Trübmoor war kein schöner Ort. Er war feucht, matschig und roch nach alten Pilzen und noch älteren Socken. Niemand ging freiwillig dorthin – bis der Sumpf anfing zu singen.

Nicht einfach ein leises Summen oder ein fernes Trällern. Nein. Trübmoor sang laut. Und falsch. Und ständig. Tagsüber klang es nach Oper, nachts nach schmachtenden Liebesballaden. Der örtliche Bürgermeister – ein nervöser Mann mit zu wenig Haar und zu viel Angst – rief verzweifelt um Hilfe.

Und wie es der (ungerechte) Zufall wollte, waren in der Nähe zwei Personen unterwegs, die in solche Dinge regelmäßig hineinschlitterten.

„Sag mir nochmal, warum ich mit dir durch einen Sumpf latsche, der klingt, als würde er sich selbst umwerben?“ murrte Borin Eisenfaust, während er sich mit seinem Stiefel aus einem besonders schmatzenden Morastloch zog.

„Weil du behauptet hast, du könntest einen verzauberten Sumpf schneller beruhigen als ich mir die Haare kämme“, erwiderte Aelor Schimmerblatt, während er mit eleganten Schritten über das modrige Gelände glitt. Kein Fleck an seinem Umhang. Wie immer.

„Ich meinte das metaphorisch! Ich dachte, wir gehen vielleicht zu einem Wirtshaus, nicht in ein singendes Feuchtbiotop!“

Im Hintergrund erklang ein kehliges:
„Oooooooh, mein Herz ist ein Frosch, und du bist mein Seeeeeeee…“

Borin riss sich die Kapuze vom Kopf. „Wenn ich noch einen Reim auf ‚See‘ höre, schlag ich irgendwas.“

Sie folgten den Geräuschen bis ins Herz des Sumpfes, wo ein alter Steinbruch halb in den Morast eingesunken war. Aus dem Nebel erhob sich eine schimmernde, durchsichtige Gestalt – ein froschähnlicher Geist in glitzerndem Umhang.

„Ah! Publikum!“ rief die Erscheinung und warf dramatisch die Arme in die Luft. „Ich bin Sir Quakando, der Barde des Moors!“

„Du bist der Grund, warum sich die Leute in Trübmoor die Ohren zuhalten und die Enten depressiv gucken“, brummte Borin.

„Ich bringe Kunst! Gefühl! Leidenschaft!“ Sir Quakando schnippte mit den Geisterfingern. Sofort begann ein Chor von verzauberten Libellen mit einem disharmonischen Acappella.

Aelor verzog das Gesicht. „Oh nein. Das ist kein Sumpfgeist. Das ist ein Theatergeist. Der schlimmste Typ von allen.“

Sie versuchten es erst mit Vernunft.

„Vielleicht findest du ja anderes Publikum?“ schlug Aelor vor. „Etwas… lebhafteres? Und freiwilligeres?“

„Ich bin gebunden an diesen Ort!“ jammerte Quakando. „Meine letzte Vorstellung endete mit einem einem Wutausbruch. Ich starb… mitten im Applaus! Ich kann nur Ruhe finden, wenn ich ein perfektes Finale aufführe!“

„Aha“, sagte Borin. „Also, wir bringen dir ein Publikum, du singst dein Herz raus, du verschwindest für immer. Richtig?“

„Jawohl! Aber es muss ein bewegtes Publikum sein! Echter Applaus! Und echte Emotione!“

„Hast du Glück“, grinste Borin. „Ich kenn da ein paar Leute in Trübmoor, die werden sich ganz sicher bewegen, wenn sie dich hören.“

Ein paar Stunden später war das Dorfplatz Theater von Trübmoor improvisiert. Aelor hatte Stühle organisiert. Borin hatte die Bevölkerung „überzeugt“ („Wer nicht kommt, wird mit mir allein im Sumpf ausgesetzt.“). Und Sir Quakando stand auf einer leicht wackelnden Bühne aus Holzkisten.

Dann begann er zu singen.

Und es war… schrecklich.

Sumpfballaden. Eine Arie über Moos. Ein dramatisches Solo über die Liebe zwischen einem Lurch und einem Seerosenblatt. Borin sah sich panisch nach einer Fluchtmöglichkeit um.

Doch plötzlich geschah etwas Merkwürdiges. Die Leute lachten. Dann klatschten sie. Nicht, weil es gut war – sondern weil es so furchtbar komisch war.

Quakando leuchtete auf der Bühne. „Ihr… ihr mögt es?“

„Wir… genießen es“, sagte Aelor vorsichtig.

Der Geist strahlte. „Dann… ist dies mein Finale.“ Er verbeugte sich tief. Die Bühne krachte ein, das Publikum kreischte – und der Geist verschwand in einem strahlenden Lichtblitz.

„Ich kann’s nicht glauben“, murmelte Borin, als sie die Bühne abbauten. „Wir haben einen Geist weggeklatscht.“

„Manchmal braucht die Welt eben keine Helden mit Schwertern“, sagte Aelor, „sondern Publikum mit Humor.“

„Trotzdem. Wenn das nächste Abenteuer was mit Tanzgeistern zu tun hat, bin ich raus.“

„Du tanzt sowieso wie ein betrunkener Stuhl, Borin.“

„Und du redest wie ein selbstverliebtes Liederbuch.“

Die beiden stritten sich weiter, während hinter ihnen ein einzelner Frosch leise ein trauriges Liebeslied quakte.

So berichtet von dem Halbling Bolbi Bitterberg
Herumtreiber & Geschichtenerzähler

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