„Hört, oh Kinder der Gemeinschaft, die Geschichte von Rih’Tari’Vēra, der mit dem Herzen eines Dichters und der Seele eines Kriegers vor die Ältesten trat! Die Sonne, Rih’Sol, goss ihren goldenen Segen auf Shānti’Kāla, die Stadt aus Friedensglas, als der Geschichtenerzähler seinen Platz vor den Mächtigen einnahm. Sonst priesen seine Worte die Herrlichkeit von Vater Sonne, doch heute war seine Stimme schwer von Kummer, denn er trug die Klage der Stämme von Thul’Kāla’Tāri in seinem Herzen.
>>Oh ihr Weisen,<< begann er, seine Worte wie Sandkörner durch die Stille rieselnd, >>der Wind, unser Vetter Arai, flüstert Geschichten von Not und Entbehrung, weil die Stämme von Thul’Kāla’Tāri, deren Heimat am Rande des gefürchteten Aschenebels liegt, von den Abgaben erdrückt werden, die von ihnen verlangt werden.<<
Er hob seine Hände, gezeichnet von den Jahren in der Wüste und geschmückt mit den Zeichen seiner Geschichten. >>Sie sind ein starkes Volk, abgehärtet von den Prüfungen des Nebelstahlgebirges. Ihre Kinder lernen früh den Umgang mit dem Jagdspeer und üben sich in Tāri’Māna, und ihre Kundschafter sind furchtlos im Angesicht der Gefahren, die aus dem Thul’Arai hervorbrechen.<<
>>Doch nun wird ihnen eine neue Bürde auferlegt, eine Bürde, die sie zu zerbrechen droht<<, fuhr er fort, seine Stimme von Kummer erfüllt. >>Um die Expedition zur Gründung der Aschewacht Thul’Arai’Tor zu finanzieren, müssen sie von ihrem kargen Besitz abgeben. ihre Herden schrumpfen, ihre Felder verdorren, und in den Augen ihrer Kinder spiegelt sich der Hunger.<<
>>Einige mögen behaupten, dass diese Opfer notwendig sind, um die Gemeinschaft zu schützen. Doch ist es gerecht, die Last des Schutzes auf die Schultern jener zu legen, die am wenigsten haben?<<
Seine Worte hallten durch den Raum, doch die Ältesten blieben ungerührt. Ihre Gedanken schienen in Shānti’Kāla gefangen, in der Stadt des Überflusses, blind für die Not an den Rändern ihrer Welt.
>>Ich flehe euch an, oh ihr Weisen,<< schloss Rih’Tari’Vēra seine Klage, >>vergesst die Stämme von Thul’Kāla’Tāri nicht. Erinnert euch daran, dass auch sie Kinder von Mutter Donner und Vater Sonne sind, dass auch in ihren Adern das Blut der Sāndari’Māna fließt. Hört auf die Stimme des Windes, der ihre Geschichte zu uns trägt. Lasst Gnade walten, bevor ihre Herzen zu Stein erstarren!<<
Da hob Kāri’Mana’Arai, das jüngste Mitglied des Rates, ihre Stimme und sprach, sichtlich angerührt: >>Es ist gut, dass Du diese Kunde zu uns bringst.<< Doch ehe sie weitersprechen konnte, ergriff Tāri’Kāla’Vēra, einer der Meinungsführer, der den Rat mehr als einmal in seinem Sinne befinden ließ, das Wort: >>Vor allem aber ist es gut, dass Du diese Schauergeschichten, die das Volk verunsichern, zu uns statt in die Straßen der Stadt gebracht hast. Wir wissen um die weinerliche Natur der südlichen Stämme, die ohne Arinai’Tors Eingreifen bis heute nicht den Mut aufgebracht hätten, ihre Siedlung wieder zu verlassen, weil einige von ihnen genug freie Zeit hatten, sich Begegnungen mit Geistern aus dem Nebel auszudenken.<<
Er stand auf, richtete die Falten seines Gewandes, sah prüfend in die Runde, und niemand trat seinen Worten entgegen. >>Der Rat ist besorgt über da Aufkommen dieser Gerüchte, zumal diese Expedition, die nicht wir gewollt hatten, einen Grund für erleichterte Abgaben darstellen soll. Wir aber verkünden: Wenn jene Stämme die Freiheit haben, zu bauen und zu lamentieren, dann haben sie auch Zeit, um den Obulus zum Erhalt unserer Hauptstadt zu erwirtschaften. Du aber, Rih’Tari’Vēra, solltest es besser wissen als ihre heuchlerische Klage auch noch zu verbreiten – halte Dich an die Geschichten über Vater Sonnes Größe, die Du prächtig und wortgewandt wie kaum ein Zweiter zu erzählen weißt. Diese stehen Die besser zu Gesichte!<<
Und so verließ Rih’Tari’Vēra traurig die Versammlung der Ältesten in Shānti’Kāla. Sein Herz erlaubte ihm aber nicht, zu verschweigen, was er auf seinen Reisen gesehen hatte, und so entsann er eine Geschichte, die Lage in den südliche Regionen der Wüste auch für die Bewohner der Hauptstadt fühlbar machen sollte, und er trugt sie vor, und sie hörten ihm zu.“
Lunai’Arai’Mana, Geschichtenerzählerin der Sāndari’Māna