Die Kunde von Esham dem Glanzbringer und dem Volk der Händler

Man hat auf dem Konvent gesagt, man solle die alten Geschichten aufschreiben. Die mit Magie. Die, in denen noch etwas glänzt. Nicht wie jetzt. Damals.

Ich habe lange überlegt. Dann fiel mir Esham ein. Es gibt zahllose Geschichten über ihn, die mindestens Generationen zurück gehen.

Diese Geschichte hier hat man mir erzählt vor vielen Jahren als der Nebel noch unser jeden Tag bestimme. In einer Nacht ohne Feuer, nur Glut. Die Worte kamen langsam, wie aus einem alten Mund auch wenn ihr Sprecher selbst keine 20 Jahre zählte.

Ich weiß nicht, ob sie wahr ist. Ich weiß nicht, ob es je so war. Ich will aber Glauben, dass hinter der Geschichte mehr steckt als nur die Machtfantasien der Jungen.

Also habe ich sie aufgeschrieben.

Ich habe nichts geändert. Nichts dazugetan. Nur wiedergegeben.

gez. Eshiza Chronistin der Astarim

Die Kunde von Esham dem Glanzbringer und dem Volk der Händler

Es war in jenen Tagen, da das Licht der alten Gerechtigkeit flackerte wie eine Kerze im Sturm und viele Völker ihre Helden längst vergessen hatten. Doch auf der Insel der Astarim, wo Ehre wie Gebet gesprochen wird, wo jeder Schritt auf Stein dem Takt uralter Rituale folgt, und wo Disziplin, Stille und Klinge ein einziger Gedanke sind, hob sich ein Mann, wie ihn nur wenige Zeiten gebären: Esham, den sie später den Glanzbringer nannten.

Schon in der Schlacht bei der Drei-Zinnen-Feste hatte er einen ganzen Feindeswall zerschlagen, während seine Kameraden, kaum mehr als zehn an der Zahl, mit ihm einen Sturm aus Pfeilen überstanden.

Als die Kunde vom Leid des Südens kam, von Dörfern, die brannten, und Kindern, die blutend in den Feldern lagen, da zögerte er nicht. Esham, der Glanzbringer, schwieg nur einen Herzschlag lang, ehe er sein Schwert nahm, die Rüstung aus schwarzem Leder anlegte und den Eid erneuerte: nicht für Ruhm, nicht für Gold, sondern für Gerechtigkeit.

Mit ihm gingen Daron, ein schweigsamer Klingenläufer, dessen Messer schneller waren als ein Gedanke; Lethira, deren Stimme allein schon schwankende Herzen festigte; und Aban, der große, schwere Krieger, der in der Schlacht das Lachen nie verlor.

Jenseits des Meeres trafen sie auf die Bewohner des fernen Stadtstaat Zardum. Händler, die kaum ein Schwert zu halten wussten, aber deren Feinde – entstellte Bestien, schwarze Leiber mit Mündern voller Reißzähnen – die Grenzen überschritten hatten. Die Bewohner von Zardum hatten gebetet. Und Esham antwortete.

Die erste Schlacht war an den Steilklippen des Meeres. Wind zerrte an den Bannern, Blut rann wie Wein an den Felsen. Daron stürzte sich wie ein Schatten unter die Bestien, Lethira sang den uralten Ruf der Standhaftigkeit – und Esham, mit dem Rücken zum Abgrund, hielt eine Linie, die zehn Männer nicht gehalten hätten. Als sein Schwert brach, hob er ein Stück Eisen vom Boden auf, und mit bloßer Willenskraft ließ er es in Flammen aufgehen und kämpfte weiter.

Drei Tage hielten sie das Kliff. Und in der Nacht vor dem vierten Tag, als die Verwundeten fieberten, legte Esham die Hände auf ihre Stirn – und ihnen war, als wären sie aus einem tiefen, friedvollen Schlaf erwacht, den kein Schmerz getrübt hatte.

Als sie die Tore der Stadt erreichten, die fast gefallen schienen, fanden sie Überlebende: Bauern mit Äxten, Frauen mit gebrochenen Händen, Gelehrte mit verbrannten Roben und Händler mit Messern. Esham sprach kein Wort, aber als er sein Schwert hob – nun geschmiedet aus Stahl, den er selbst im Feuer des Feindes geschmolzen hatte – standen alle auf. Und sie folgten.

Der Kampf dauerte sechs Stunden – sechs Stunden, in denen Fleisch splitterte, Klingen sangen und Blut in Fontänen über Pflastersteine spritzte. Die Gassen von Zardum wurden zur Hölle aus Rauch und Eisen, durchdrungen vom Heulen sterbender Kreaturen und dem Klirren zerschellender Schwerter. Daron wurde an der Schulter aufgeschlitzt, taumelte – doch bevor er fiel, war Esham da, die Hand an seinem Herzen, das Licht in seinen Augen lodernd wie brennendes Erz. Ein einziger Blick genügte, und Daron hob sein Messer wieder.

Lethira stand auf einem umgestürzten Brunnenrand, ihr Haar blutverklebt, ihr Lied so klar, dass selbst die Sterbenden innehielten. Ihre Stimme war das letzte, was viele hörten – Trost und Triumph in einem Klang.

Aban, der Riese, verlor sein Schwert und griff stattdessen ein Rad von einem zerschmetterten Karren. Damit zerschlug er zwei Dutzend Feinde – das Knacken ihrer Knochen wie dürres Holz wurde nur übertönt von seinem in wildem Gelächter.

Daron war wie ein Schatten, der immer da wo zwei sich auf einen stürzen wollten auftauchte und die feigen Bestien blutend und qualvoll sterbend zurück ließ.

Esham selbst war ein Wirbel aus Stahl und Wille. Er trug vier Wunden, tiefe, klaffende Schnitte, und stand doch unbeirrt. Eine Bestie riss ihm den Helm vom Haupt, eine andere warf ihn gegen eine Mauer, dass der Stein splitterte – doch er erhob sich, Blut im Blick und Licht in der Faust. Als der Feind die Oberhand zu gewinnen schien, rief er mit einer Stimme, die selbst das Herz der Feigsten entflammte: „Steht! Für Zardum, für das Leben!“

Ein Aufbäumen ging durch die Reihen der Verzweifelten. Der Feind wurde zurückgedrängt, niedergerungen, vernichtet. Klauen zitterten im Tod, Augen starrten gebrochen zum Himmel. Am Ende, als die Glocke der Stadt ihren ersten Schlag in der wiedergewonnenen Freiheit tat, lagen dort über dreihundert Leiber – Bestien und Menschen gleichermaßen. Und Esham, der Glanzbringer, stand in ihrem Zentrum. Blutüberströmt. Doch das Antlitz – ruhig, unbewegt, wie aus Marmor gemeißelt. Wie einst beim Fall der Himmelsfeste, so auch hier: Ein Fels im Sturm. Ein Licht im Dunkel.

Ein Kind, das er dort rettete, soll später gesagt haben: „Er roch nach Eisen und Blut, aber wenn er dich ansah, wusstest du, dass du morgen erleben wirst.“

Und als alles getan war, als Zahdum wieder frei atmete und die Bewohner begannen, mit zitternden Händen Trümmer zu heben und ihre Toten zu ehren, wandte sich Esham dem Meer zu. Seine Gefährten gingen mit ihm, schweigend, ohne Blick zurück.

Er nahm nur, was er zum Überleben brauchte – Wasser, ein Rest Brot, ein neues Band um die Wunde an seiner Seite. Kein Gold, kein Dank, keine Ehrung. Den Wiederaufbau überließ er jenen, für die er gekämpft hatte. Denn was errungen wurde, sollte aus ihren eigenen Händen wachsen.

Und so stand er auf seinem Schiff, das Meer still wie das erste Schweigen der Welt, das Blut noch warm auf der Haut, die Sonne tiefrot über den Wellen. Er segelte zurück in Richtung Harzamir, doch bevor seine Schuhe den heimischen Boden betraten sollte er noch viele andere Taten verüben.

Diese sind Geschichten für einen anderen Tag.

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