Volon in Rash’Sul – Ein Bericht als Tribut zur Verständigung der Völker Volon wurde von seinem Geleit die Klippen hinab in das Herz der Hauptstadt geführt. Die Tore waren aus schimmerndem Perlmutt gefertigt, während sich die Straßen als geschwungene, glatte Pfade durch die Stadt zogen. Sie waren mit Algen bewachsen, die bei jedem Schritt ein sanftes, bläuliches Leuchten verströmten. Überall gab es natürliche Becken und Kanäle mit klarem Wasser, die sich in kunstvollen Mustern durch die ganze Stadt schlängelten und alles miteinander verbanden.

Obwohl die Stadt voller Leben war, fehlte das geschäftige Treiben, das Volon aus seiner Heimat kannte. Stattdessen summte die Luft von einer stillen, harmonischen Aktivität – einem psionischen Echo des Schwarmbewusstseins, das über den gesamten Ort hinweg spürbar war. „Alles hier hat eine Ordnung, eine Hierarchie. Die Drohnen sind unsere Glieder, die Majore unsere Werkzeuge, die Hüter unsere Stimme und die Königin ist unser Herz. Von ihr stammt all unsere Essenz.“. Einige Drohnen eilten lautlos durch die Straßen, trugen Körbe mit frischen Algen oder Schalen voller Perlen und Muscheln. Ihre Bewegungen waren präzise, zielgerichtet, von einer beinahe unheimlichen Synchronität. Niemand gab Befehle, niemand schrie Anweisungen. Sie handelten als ein einziger Organismus, als wären sie Glieder desselben Körpers. Über ihnen schwebten die Majore, etwas größere Rash’Nu, deren Exoskelette mit feinen Verzierungen geschmückt waren.
Ihre Bewegungen waren ruhiger, kontrollierter, und ihre Präsenz hatten eine Tiefe, die bei den Drohnen fehlte. Volon nahm sich einen Moment, um die Eindrücke zu verarbeiten. Sein Blick wanderte über die Stadt und ihre Bewohner. Schließlich fragte er: „Was ist diese Essenz?“ Die Antwort kam sofort: „Die Essenz ist das, was uns belebt, was uns verbindet. Je mehr Essenz ein Rash’Nu trägt, desto individueller wird er. Doch selbst die Reichsten unter uns bleiben Teil der Königin. Unsere Gedanken sind ihre Gedanken, unser Sein ist ihr Sein. Wir sind ein Wesen, viele Glieder eines einzigen Körpers.“
Da bemerkte Volon die leuchtenden Gestalten der Hüterschaft, die mit kunstvoll verzierten Körpern durch die Straßen glitten. Sie sendeten leise psionische Gesänge aus, die die Herrlichkeit der Königin ehrten. Einer der Hüter trug eine goldfarbene, perlmuttartig glänzende Scheibe in den Händen, die in einem sanften Licht schimmerte. „Dies,“ begann der Hüter plötzlich mit einer Stimme, die wie ein sanftes Echo in Volons Gedanken widerhallte, „ist Essenz – der Kern unseres Lebens. Die Königin Rash’Sul gibt uns allen einen Teil ihrer Essenz, damit wir existieren, dienen und wachsen können. Doch die Essenz ist nicht nur unser Leben, sondern auch unser Tauschmittel.“
Er drehte die schimmernde Münze in seinen Tentakeln, sodass das Licht der Umgebung sie noch stärker erstrahlen ließ und gab sie Volon, „Wir prägen die Essenz in diese Scheiben, damit sie transportiert und über große Distanzen geteilt werden kann. Sie sind unser Medium, um die Essenz weiterzugeben, zu speichern und zu nutzen. Wenn ein Rash’Nu eine solche Münze erhält, kann er die Essenz telepathisch entnehmen und in sich aufnehmen. Die Münze wird blass und glanzlos, sobald sie leer ist. Doch sie bleibt ein Gefäß, bereit, erneut gefüllt zu werden.“ Volon betrachtete die Münze mit wachsender Neugier. Der Hüter setzte fort: „Diejenigen, die reich an Essenz sind, sind auch reich an Individualität. Sie haben eigene Wünsche, eigene Ziele, die sie verfolgen. Diese Rash’Nu tauschen Dienstleistungen, Kunstwerke oder sogar Wissen miteinander aus – und sie bezahlen mit einem Teil von sich selbst. Ein Stück ihrer Essenz, ihres Lebensflusses, wird weitergegeben, um andere zu bereichern. Doch für jeden Gewinn gibt es einen Verlust. Je mehr Essenz ein Rash’Nu opfert, desto weniger Individualität bleibt ihm.“
Der Hüter deutete auf eine Gruppe von Drohnen, die unermüdlich arbeiteten. Sie trugen schwere Lasten über die mit Seegras bedeckten Straßen, ihre Exoskelette schlicht und beinahe unförmig. Ihre Bewegungen waren vollkommen synchron, jeder Schritt, jede Geste ein Echo des anderen. „Die Drohnen,“ sagte der Hüter, „haben kaum Essenz. Sie sind unsere Arbeiter, unsere Soldaten, unser Fundament. Ohne sie könnten wir nicht existieren, doch sie selbst existieren nur durch den Willen der Königin. Ihre Essenz reicht aus, um sie am Leben zu halten und sie an das Kollektiv zu binden. Sie haben keine Wünsche, keine Träume, keinen freien Willen. Sie sind wir.“ Volon fühlte eine Mischung aus Faszination und Beklemmung. Ein System, das auf absoluter Gemeinschaft und Einheit basierte, hatte eine düstere Kehrseite. Die Rash’Nu waren ein Volk, das alles teilte – selbst die Seele.
„Es ist ein Paradoxon,“ fügte der Hüter hinzu, während er Volon weiterführte, „dass wir mit einem Teil unserer selbst bezahlen. Doch es ist auch unser Geschenk. Wer seine Essenz teilt, schenkt ein Stück seines Geistes, seines Selbst. Es ist der höchste Akt des Vertrauens und der Gemeinschaft. Doch es gibt auch jene, die sich davor fürchten. Denn zu viel Essenzverlust kann bedeuten, dass man wieder reiner Teil des Schwarms wird – ohne eigene Gedanken, ohne Wünsche.“ Volon blieb stehen und betrachtete eine weitere schimmernde Münze, die ihm gereicht wurde. Er spürte die pulsierende Kraft in ihr, das Leben, das sie barg. Es war ein fremdes Konzept für ihn – ein Teil seiner selbst zu opfern, um etwas zu erwerben. Doch er erkannte, dass es die Rash’Nu verband – ein untrennbarer Fluss, der durch sie alle floss, von der Königin bis hin zur einfachsten Drohne.
In regelmäßigen Abständen öffneten sich weite Plätze in der Stadt, auf denen riesige Korallenbäume wuchsen. Ihre Äste erstreckten sich wie filigrane Adern aus schimmerndem Kalk in alle Richtungen und leuchteten in einem kaleidoskopischen Farbenspiel. Das Licht der einfallenden Sonne tauchte sie in ein sanftes Glimmen. Unter jedem dieser Bäume befanden sich Wasserbecken, in denen Rash’Nu in stiller Versenkung verharrten. Ihre Gedanken schienen in das telepathische Kollektiv einzuströmen, das sie alle verband. Diese Orte waren erfüllt von ruhiger Andacht, ein stilles Echo des Schwarmbewusstseins, das die Stadt durchdrang.
Schließlich führte Volons Geleit ihn zu einem Korallenbaum, der alle anderen überragte. Seine Äste ragten wie aus lebendiger Architektur geformt in den Himmel, bewachsen von leuchtenden Korallen, die in weichen Wellen pulsierend schimmerten. Eine ehrfürchtige Stille umgab diesen Ort, nur durchbrochen vom sanften Plätschern des Wassers in den kreisförmig angeordneten Becken. Die Atmosphäre war gespannt, voller unausgesprochener Bedeutung. „Dies ist ein Ort der höchsten Ehrfurcht“, erklärten sie ihn mit einer tiefen, resonanten telepathischen Stimme. „Vor dir liegt eine Halle der Wiegenlieder, der Tempel einer Brutmutter – eines unserer heiligsten Wesen. Nur wenige dürfen diesen Ort betreten, doch als Gast und Teil der Königin wirst du eingelassen. Folge uns, aber sei dir bewusst: Ein Fehltritt in dieser Halle würde den Zorn des Kollektivs wecken.“
Sie traten näher an die einzige Öffnung des Baumes heran – eine bläulich schimmernde Membran, die in sanften Wellen pulsierte, als ob sie atmete. Als sie sich näherten, öffnete sie sich lautlos, gesteuert von unsichtbaren Kräften. Ein Hauch von Salz erfüllte die Luft, als Volon vorsichtig eintrat.

Das Innere war überwältigend. Eine gigantische Kuppelhalle erstreckte sich vor ihm, die Wände von einem sanften Licht erfüllt. Das Licht schien aus den Strukturen selbst zu entspringen, als würde der Baum sein eigenes Leuchten erzeugen. Symmetrisch über den Boden verteilt, lagen Wasserbecken mit kristallklarem Wasser. In ihnen regte sich neues Leben – die Larven der Rash’Nu. Zarte, unfertige Wesen, deren weiche Körper noch schutzlos in der Flüssigkeit schwebten. Nur die feinen Ansätze eines versponnenen Kokons, eines ersten Gebildes ihrer schützenden Hülle.

Und in ihrer Mitte thronte eine kolossale Gestalt – die Brutmutter. Ihre äußere Schale wirkte wie ein Kunstwerk aus Perlmutt und Korallen, eine lebendige Symbiose von Leben und Struktur. Zahlreiche Tentakel glitten sanft durch das Wasser, während sie mit bedächtigen, fast liebkosenden Bewegungen die empfindlichen Larven berührte.
Ihre Präsenz war erhaben, ein Gleichgewicht aus unermesslicher Macht und tiefer Fürsorge. Sie war ein Ursprung des Lebens, die Bewahrerin der Zukunft ihres Volkes. Und dann erklang ihr Lied. Ein sanfter, vibrierender Ton erfüllte die Halle, schien sich in Volons Gedanken zu verweben und durch seine Seele zu strömen. Es war mehr als Klang – eine Berührung des Geistes, eine Melodie aus purer Essenz. Die Stimmen des Kollektivs vereinten sich mit dem Lied der Brutmutter und ließen ihn tiefer in das Bewusstsein der Rash’Nu eintauchen. Für einen Moment fühlte er sich gänzlich aufgelöst, als ob seine eigene Existenz mit dem Schwarm verschmolz. Auf ein kaum wahrnehmbares Zeichen der Brutmutter wies einer der Rash’Nu auf ein nahegelegenes Wasserbecken. „Tauche hinein. Lass das Wasser dich erfüllen.“
Ohne zu zögern trat Volon an den Rand des Beckens und glitt in das kristallklare Wasser. Ein Schauer lief über seine Haut, als die kalte Flüssigkeit ihn umhüllte. Mit jedem Herzschlag spürte er, wie seine Gedanken sich weiteten, seine Grenzen sich auflösten. Das Wasser trug ihn, umfing ihn mit einer stillen, fast ehrfürchtigen Kraft. Als er auftauchte, fühlte er sich verändert. Gereinigt. Bereit. Sein Blick fiel auf die beiden goldenen, leuchtenden Münzen, die er noch immer in den Händen hielt – das Geschenk des Hüters. Sie schienen in seinen Fingern zu pulsieren, erfüllt von Essenz. „Wirklich schön sind sie“, regte sich ein einfacher Gedanke als seinen Körper mit eine Welle von Wärme und Zuversicht durchströmt wurde. Volons Muskeln entspannten sich. Die Münzen, nun blass und glanzlos, glitten lautlos durch seine Finger und sanken auf den Grund des Beckens, wo sie wie fahle Schatten in der Tiefe verschwanden.
Die Aufmerksamkeit der Rash’Nu ruhten auf ihm, voller Erwartung. Ohne ein weiteres Wort wusste er, dass der Moment gekommen war – die Königin wartete. Wie von selbst führte ihn sein Weg zu einer majestätischen Halle durchflutet von einem sanften Licht. Doch dies war mehr als ein Bauwerk – es war ein Traum, eine Vision, ein Ort jenseits der festen Formen der Welt. Die Luft vibrierte von Gedanken, ein Summen, das an den Grenzen seines Bewusstseins kratzte. Wasserfälle stürzten sanft an den Wänden herab, ihre Ströme zerfielen in leuchtende Nebel, die sich in der Luft auflösten, bevor sie den Boden berührten. Die Farben der Halle schienen sich mit jeder Bewegung zu verändern.

Überall wuchsen filigrane Formationen, zu feingliedrig, um nur zufälliges Wachstum zu sein – lebendige Skulpturen aus Kalk, Koralle und Licht. Große, natürlich geformte Säulen stützten die Kuppel, ihre Oberflächen von fossilisierten Mustern durchzogen, Relikte aus einer Zeit, die niemand mehr erinnerte. Und in der Mitte thronte Rash’Sul selbst, die Königin. Sie war kein Wesen im herkömmlichen Sinn, kein Monarch auf einem Thron. Sie war das Herz des Bewusstseins, der Punkt, um den alles kreiste. Ihr gewaltiger Körper schien zugleich fest und fließend zu sein, als ob sie nicht in dieser Welt gebunden war. Ihre mächtigen Arme bewegten sich mit langsamer Präzision, jeder ihrer Bewegungen folgte einer Bedeutung, die Volon nicht verstand, aber fühlte. Und mit jeder Geste strömte eine Welle telepathischer Macht durch den Raum.
„Volon,“ erklang ihre Stimme in seinem Geist, nicht als Wort, sondern als ungreifbare Wahrheit. „Du bist gekommen, wie ich es erhofft habe. Du bist ein Wanderer, ein Träger von Wissen, ein Teil von mir. Lehre mich. Zeige mir die Welt durch deine Augen. Bringe mir das Schreiben, die Geschichten und Weisheiten deiner Art. Ich werde dir zuhören, wie die Larven den Brutmüttern lauschen. Es soll dein Schaden nicht sein. Ich habe große Pläne für dich.“ Er nickte. Doch war es ein Gedanke, eine Bewegung oder etwas dazwischen?
Die Grenzen begannen sich aufzulösen, sein Geist wurde weit, die Stimmen des Schwarms schwebten in seinem Inneren wie sanfte Strömungen. Er fühlte sich angehoben, getragen, verwoben mit etwas Größerem…
Vermittelt durch Cora’Mythral, das Bewusstsein der Diplomatie