Vorfall beim Ball

Die Shi’Bath Telara Sin’Qilial

Nun lebe ich seit mehreren Wochen in den Reihen der Feylar. Die gespenstischen Gesichter, die blassblauen Augen und die Knochenarchitektur beginnen ihren Schrecken zu verlieren. Auch wenn die Feylar nach wie vor sehr unnahbar und kalt wirken, so komme ich nicht umhin auch jene zu sehen, die hinter ihrer Fassade mehr als nur stoische Härte und Objektivität haben. Es gibt die Dichter und Denker insbesondere im Haus Tir’Saik, die das Herz der Geschichtsschreibung, aber auch der Kultur, der Tänze und des Gesangs sind.

So war ich zu einem offiziellen Ball eingeladen und es war wenig verwunderlich, dass Angehörige der Tir’Saik für eine ruhige, fast schon gespenstische Atmosphäre sorgten. Feylar beiden Geschlechts tanzten in seidigen Gewändern, wodurch die diversen Knochenauswüchse am ganzen Körper zur Geltung kamen. Sie waren anmutig und schienen über dem Boden zu schweben.

Im Verlaufe des Abends erschien schließlich die Shi’Bath höchstpersönlich. Als Telara Sin’Qilial den Saal betrat, verstummten sofort die Stimmen, die Feylar hielten inne oder gingen teilweise in die Knie. Lediglich die Musik säuselte ruhig weiter und untermalte den Moment mit einer seichten Melodie. Ruhig hob die Shi’Bath beide Hände und nickte sanft in die Menge, woraufhin diese wieder anfing ihr Tun fortzusetzen. Wenn Telara Sin’Qilial sich fortbewegte, machten viele der Feylar in ihrer Nähe einen kleinen Knicks, ein sachtes Nicken oder eine förmliche Verbeugung. Sie setzte sich auf ihren Thron und schaute dem Schauspiel zu. Ihr Gesicht war gelassen und wohlwollend.
Doch nicht jeder schien derartig besonnen oder in der Laune einer Feierlichkeit. Manche schauten gar griesgrämig zu der Shi’Bath, schienen über sie zu tuscheln. Einen Feylar hörte ich gar sprechen, dass er sich auf den Tag freue, an dem ihre Regentschaft zu Ende sein würde.

Jäh wurden die Feierlichkeiten aber unterbrochen, als ein Feylar, augenscheinlich vom Hause Nil’Tenim, forsch und laut in den Saal stürmte. Er war mit Blut übersät und seine lederne Rüstung wies Kratzer und Beschädigungen auf, als ob ein größeres Tier versucht hatte, mit einer gewaltigen Kralle seinen Leib in Zwei zu teilen. „Ein Tuklur hat uns angegriffen. Ru’anil und Ir’safal liegen zerfetzt.“, rief der geschockte Feylar.

Die Shi’Bath erhob sich und begab sich zu ihm. Die Menge wurde erneut schweigsam und teilte sich, sodass sie leicht zu ihm gelangen konnte. Er gab ein kurzes Kopfnicken, dann sprach er direkt weiter. „Ich fordere das Haus Kal’Dar auf, das Haus Nil’Tenim bei der Jagd nach dieser Bestie zu unterstützen!“ Die Shi’Bath schien einen Moment darüber nachzudenken. Schließlich legte sie eine Hand auf seine Schulter und sprach gut hörbar für alle mit fester, einer Herrscherin würdiger Stimme: „Das Haus Nil’Tenim ist stark. Ich bin überzeugt, dass dieser Rückschlag das Haus noch stärker machen wird. Die Kal’Dar werden eurer Bitte nicht nachkommen. Ich erwarte Kunde, wenn ihr es geschafft habt, die Bestie zu erlegen.“Der Mann schien geschockt, gar entsetzt. Die Wut, die sich in seinen Augen sammelte, konnte er nicht vollends verbergen, als er sich schließlich umdrehte und die Feierlichkeiten verließ. Getuschel war zu vernehmen, manche mutmaßten, dass das Haus Kal’Dar wohl überhaupt nicht in der Lage sei, einen Tuklur zu erledigen. Die Shi’Bath ging wieder zu ihrem Thron und schien mit einem Herren ihrer Entourage zu sprechen. Danach wurden die Feierlichkeiten fortgeführt, als ob nichts geschehen sei.

Als ich später mit Telara Sin’Qilial sprach, erörterte sie mir, was in jenem Moment des Nachdenkens in ihr vorging. Sie teilte mir mit, dass diese Bitte unüblich gewesen sei, da es die Aufgabe des Hauses Nil’Tenim war, die Gefahren der Natur zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass so ein Vorfall nicht passieren könne. Diese Bitte zu stellen, war also in gewisser Hinsicht ein Bekenntnis, dass das Haus dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Würde die Shi’Bath also dieser Bitte stattgeben, wäre es einem Signal an alle anderen Häuser gleichgekommen, dass das Haus Nil’Tenim zu schwach ist, seine Aufgabe zu erfüllen. Dies wäre eine gute Einladung an alle anderen gewesen, das Haus und seinen Einfluss anzugreifen. Daher hatte sie auch mit einem ihrer direkten Untergebenen gesprochen, dass jener dafür sorgen soll, dass dem Haus Nil’Tenim die nötige Ausrüstung, Waffen, Proviant und Heilmittel zur Verfügung stehen. Auch solle er Sorge tragen, dass die Gefallen für das Ritual des „Til’Anin“ geborgen und in die Stadt gebracht werden. Bei diesem Ritus werden die Knochen Verstorbener entnommen, damit sie an das Haus der Kal’Dar gegeben werden können und dort weitere Verwendung finden, so wie es der Brauch der Feylar ist.Es wird sich zeigen müssen, ob diese Art der Reaktion der Shi’Bath den gewünschten Effekt haben wird, die Integrität des Hauses Nil’Tenim zu erhalten und gleichzeitig nicht das Ansehen des Hauses Kal’Dar zu schaden. Immerhin haben die Anwesenden und die Feiernden nichts von ihrem weiteren Vorgehen erfahren.

Jordan Hardlinger,
Schreiber der Analen der Feylar zum Anbeginn der neuen Zeit,
Stimme der Shi’Bath Telara Sin’Qilial im Vne Thall und im Austausch mit den Völkern Darshivas

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