Die Angelegenheit bezüglich des Tuklurs, der erfolgreichen Jagd und das Abspenstigmachen der Beute durch eine bis dahin unbekannte Feylar war etwa 3 Mondläufe her und die ersten Stimmen schienen zu glauben, dass es mit diesem Vorfall nun vorüber sei. Dieser Vorgang war dennoch derartig bemerkenswert, dass die Shi’Bath wissen wollte, wer diese Feylar war und es stellte sich heraus, dass ihr Name Far’Nie Helandion ist und sie dem niederen Hause der Tar’Shinon entspringt. Da aber letztlich alle ausstehenden Zwistigkeiten diesbezüglich geklärt werden konnten – auch da Telara Sin’Qilial mit dem Haus Nil’Tenim gesprochen hatte, dass es keine weiteren Schritte einleiten solle – schien der Konflikt beendet. Zähneknirschend hatten die Nil’Tenim akzeptiert.
Doch gestern erst ist etwas geschehen, das die Geschehnisse wieder in Erinnerung rief und auf grausame Weise fortsetzte.
Die Shi’Bath und Angehörige ihres Rates befanden sich gerade in einer öffentlichen Anhörung, bei der Feylar zu ihr an den Thron treten dürfen, um ihre Belange kundzutun und gegebenenfalls auf kurzem Wege Rechtssprechung zu erwirken. Der Tag verlief gewöhnlich bis eine Dame den Saal betrat, der bei Vielen für Stirnrunzeln sorgte. Es war jene Feylar, die in der Vergangenheit dem Haus Nil’Tenim die Stirn geboten hatte und den Tuklur indirekt dem Haus Tir’Saik zugespielt hatte.
Far’Nie trat schweigend auf den kleinen Sockel, auf dem die Feylar zu stehen kamen, um mit der Shi’Bath zu sprechen. Ihre Augen wirkten eingefallen, ihr Körper leicht gebeugt und in sich zusammengesackt. Als sie ihren Mund öffnete, war sofort zu sehen, dass etwas nicht so war, wie man es erwarten würde. Mit gebrochener Stimme, fast schon krächzend, begann sie zu sprechen. Dabei war deutlich zu vernehmen, dass immer wieder zischende, unsaubere, fast schon pfeifende Laute die sonst so anmutig wirkende Sprache der Feylar entstellten. Nicht alle Buchstaben konnte die Feylar klar aussprechen. „Geehr‘e Shi’Bah… mein Name isch‘ Far’Nie He‘andion. Hiermi‘ for‘ere isch Eusch auf, die Verbrescher in ihrem Reisch zur Reschenschaf‘ schu schiehen!“ Es war deutlich zu hören, dass diese Worte ihr alles abverlangten, überhaupt so deutlich gesprochen zu werden.
Die Shi’Bath, die bis dahin ruhig auf ihrem Thron saß, erhob zunächst eine Augenbraue, dann sich selbst, um die Feylar genauer anzusehen. „Was ist Euch zugestoßen?“, erklang ruhig, aber auch fordernd ihre Stimme. Die „Antwort“ ließ einige die Luft scharf einziehen, denn Far’Nie steckte der Shi’Bath die Zunge heraus – oder was davon übrig war. Deutlich war zu erkennen, dass ein ganzer Teil der Zunge abgerissen worden sein musste, alles schien blutverkrustet und angeschwollen. Selbst Telara Sin’Qilial schien einen Augenblick länger als sonst zu brauchen, um das Gesehene zu verarbeiten. Sie atmete einmal tief durch und fragte dann gefasst: „Wen macht Ihr dafür verantwortlich?“
Ohne weitere Worte zu verlieren, hob sie langsam ihre Hand und zeigte schließlich auf das Ratsmitglied des Hauses Lenrik Nil’Tenim. Dieser sprang sogleich aus seinem Stuhl empor und fing wild an, die Feylar zu beleidigen und Verleumdung vorzuwerfen, bis die Shi’Bath ihn mit einem scharfen Blick zur Ruhe brachte. „Habt ihr dafür Beweise?“, hakte die Führerin nach, doch Far’Nie schüttelte nach kurzem Zögern den Kopf. „Seht Ihr, verehrte Shi’Bath!? Diese Schlange hat keine Beweise für ihre grotesken Behauptungen!“, polterte das Ratsmitglied erneut los, doch dieses Mal ignorierte Telara ihn. „Isch kann misch ‘ur an dasch Gefühl einesch Ringesch erinnern, alsch isch be’äubt wur‘e.“ Die Shi’Bath nickte knapp. „Ich werde mich darum kümmern.“, sagte sie mit einem kalten Blick und schien damit die Sache für den Augenblick beenden zu wollen. Far’Nie verstand, verneigte sich knapp und verschwand wieder unter Gemurmel der Zuschauer. Noch im Gehen sprang eine der Zuschauerinnen auf und es entfuhr ihr sehr empört in Richtung der Shi’Bath: „Das soll alles sein!?“
Telara blickte eisern zu ihr und wiederholte ihre Worte überdeutlich und mit Nachruck: „Ich werde mich darum kümmern!“ Die Frau setzte sich widerwillig hin und schien etwas in sich hinein zu murmeln.
Der weitere Nachmittag verlief erwartungsgemäß, doch im Anschluss zu den öffentlichen Anhörungen ließ Telara Sin’Qilial die Ratsmitglieder sitzen, um den Vorfall nachzubesprechen. Jedes Haus durfte seine Meinung dazu äußern. Haus Nil’Tenim beteuerte seine Unschuld und dass es nie gegen die Worte der Shi’Bath, die Fehde ruhen zu lassen, handeln würde. Das Haus Tir’Saik wiederum schlug vor, eine kleine Gruppe zu rekrutieren, die der Sache nachgehen soll. Aufgrund der politischen Brisanz sollte es aber eine Gruppe der kleineren Häuser sein, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Das Haus Tar’Shinon war entsetzt, wie eines seiner Mitglieder so brutal innerhalb der Stadt angegriffen werden konnte und machte dafür die Shi’Bath persönlich verantwortlich. Die anderen Ratsmitglieder mutmaßten über die wahren Täter hinter dem Angriff und gaben zu Bedenken, dass das Haus Nil’Tenim sowohl Mittel als auch Motivation für eine solche Tat hätte – aus Rache für den „verlorenen“ Tuklur.
Telara unterstützte das Vorhaben der Nil’Tenim und gab noch einmal zu bedenken, dass es lediglich ein Angriff auf ein Mitglied eines niederen Hauses war, welches zwar verletzt wurde, aber letztlich überlebt hat. Derlei Vorfälle gilt es aufzuklären, aber die Ressourcen dafür seien begrenzt. Dennoch unterstrich die Shi’Bath, dass, sollte sich eine Beteiligung eines der großen Häuser herausstellen, dieses auch die Konsequenzen dafür zu tragen habe.
Und so machte sich eine kleine Gruppe von drei Feylar auf, die Hintergründe für diesen Angriff herauszufinden…
Jordan Hardlinger,
Schreiber der Analen der Feylar zum Anbeginn der neuen Zeit,
Stimme der Shi’Bath Telara Sin’Qilial im Vne Thall
und im Austausch mit den Völkern Darshivas