Der Wille des Ugroz

Ich, Ondrej, ein Pelzhändler aus den Nebelwäldern, stand an jenem Morgen auf den eisigen Klippen von Vel’ki Vladogorsk und wurde Zeuge der Krönung eines Mannes, dessen Name eines Tages durch die Jahrhunderte hallen würde: Ugroz Velki.

Die Sonne hatte gerade begonnen, ihre Strahlen über die schneebedeckten Gipfel des Neba Shan zu werfen, als sich das Volk der Vila in der Tiefe des Tals versammelte. Die kalten Winde zerrten an den Bannern, die die Symbolik des alten Reiches trugen – das brennende Feuer von Zhirnitskrad und zwei gekreuzte Strelki, die legendären Waffen der Vorfahren. Es war, als ob die Natur selbst Ugroz’ Aufstieg beobachten wollte. 

Ich hatte bereits viele Herrscher gesehen – Stammesführer, die prahlten und prunkvolle Titel beanspruchten. Doch an diesem Morgen spürte ich etwas anderes. Die Luft war nicht nur kalt, sie war geladen – mit Erwartung, mit Furcht und mit Ehrgeiz. Ich konnte spüren, wie die Blicke auf ihm ruhten – bewundernd, furchtsam und erwartungsvoll. Nach endlosen Zeiten des Umherirrens, des Überlebens in den aschebedeckten Wäldern und Tälern, verlangten die Vila nach einem starken Anführer, der sie wieder zu dem machen würde, was sie laut den Legenden der Alten einst gewesen waren: ein mächtiges Reich, das über die Welt herrschte, gestützt auf ihre Technologie und die unbändige Kraft des Feuers von Zhirnitsgrad.

Ugroz Velki stand hoch auf der steinernen Plattform, seine Silhouette hart und unnachgiebig wie das Gebirge selbst. Er war kein Mann, der in Ehrfurcht vor der Natur erstarrte. Nein, er war derjenige, der die Gebirge beugen wollte, der den Willen seines Volkes aus Stahl formte, so wie der Fluss Sverka sich seinen Weg durch das Land brach. Unter ihm wogte das Meer der Vila, ihre Gesichter halb im Schatten, halb im Licht der Morgendämmerung. Auf dem großen Turm in der Mitte der Stadt brannte das ewige Feuer Zhirnitsgrads und seine roten Flammen spielten mit den Schatten. 

Der Hohepriester Zhorvan trat aus den Reihen der Berater hervor, sein rot-goldenes Gewand wehte im Wind. Der alte Mann bewegte sich mit der Ruhe eines Eremiten, der die Geheimnisse der Götter kennt. In seinen Händen hielt er die Krone aus Uglon, jenem sagenumwobenen feurigen Mineral, von dem ich bisher nur in alten Geschichten gehört hatte. Es war schwarz wie das tiefe Innere eines schwelenden Vulkans, und es schien, als würde es das Licht der aufgehenden Sonne verschlucken.

„Ugroz Velki,“ begann Zhorvan, seine Stimme schwer wie der Wind, der durch die hohen Gipfel wehte, „du stehst heute hier, nicht nur als Herrscher dieses Volkes, sondern als Auserwählter unseres Gottes Zhirnitskrad. Die Krone, die ich dir aufsetze, trägt nicht nur die Last der Macht. Sie trägt auch das Vermächtnis unserer Vorfahren, die im Feuer und Stahl unserer Maschinen herrschten.“

Ich beobachtete Ugroz, wie er dem Priester zuhörte. Seine Augen waren fest auf das Volk gerichtet, doch in ihnen brannte ein inneres Feuer. Ein Feuer, das heißer und tiefer zu glühen schien, als alles, was ich bisher gesehen hatte. Dieser Mann wollte mehr als nur herrschen. Er wollte das alte Reich, die Vilska Oprichnina, neu errichten. Doch er wollte es größer, mächtiger machen, als es jemals gewesen war.

Der Priester trat näher, und die Menge verstummte. Selbst die Winde schienen für einen Augenblick innezuhalten. Der Hohe Priester hob die Krone an und setzte sie auf Ugroz‘ Haupt. Der Moment schien sich in der Zeit zu dehnen. Selbst der Wind hielt für einen Augenblick inne, als das schwarze Uglon sein neues Zuhause fand. Die Menge war still, und dann sprach Zhorvan die Worte, die mich und wohl jeden anderen hier im Herzen trafen.

„Ugroz,“ begann der Priester, seine Stimme tief und getragen, „du wurdest auserwählt, unser Volk zu führen. Heute, an diesem heiligen Tag, wirst du die Krone tragen, die einst die Herrscher des Vilska Oprichnina trugen. Doch mit dieser Krone kommt nicht nur Macht. Es kommt auch eine Bürde.“

„Es gibt eine Prophezeiung,“ sagte er, „eine alte Sage, die uns in den Zeiten der Finsternis stets Hoffnung gab. Sie spricht von den verlorenen Städten unserer Ahnen, wo einst diese Krone in den Flammen von Zhirnitskrad geschmiedet wurde. Städte, die tief in den Bergen und Wäldern versteckt liegen. Nur wenn diese Städte gefunden und ihr altes Feuer entfacht wird, kann unser Volk wieder zur alten Größe aufsteigen.“

Ich hatte von diesen Städten gehört als ich noch ein Junge war – Geschichten von alten Ruinen, von verlassenen Konstrukten, die im Dunkel der Erde schliefen und auf den Tag warteten, an dem jemand mutig genug wäre, sie wieder zum Leben zu erwecken. Und hier stand Ugroz Velki – der Mann, der versprach, dieses Feuer zu entfachen und das Reich aus dem Schlaf zu reißen.

Er trat vor, die Krone auf seinem Kopf glänzte matt im Sonnenlicht. Mit erhobenen Händen sah er auf das Volk herab. Seine Stimme war nicht die eines Mannes, der Befehle gibt, sondern die eines Mannes, der die Zukunft selbst formt.

„Mein Volk!“ rief er, und seine Stimme hallte von den Felsen wider. „Unsere Zeit im Schatten ist vorbei. Zu lange haben wir in den Tälern und Wäldern überlebt. Doch das ist nicht unser Schicksal! Wir sind nicht dazu bestimmt, uns zu verstecken!“

Die Menge raunte – leise Stimmen, die langsam zu einem kollektiven Gemurmel anwuchsen. Es war, als ob das Volk erwachte, wie ein schlafender Drache, der lange genug geruht hatte.

„Ich, Ugroz Velki, verspreche euch,“ fuhr er fort, „Ich werde die besten Kundschafter entsenden. Und wir werden das Tal finden, in dem die größte der verlorenen Städte ruht. Dort, so sagen die Legenden, liegt das Herz von Zhirnitskrad, die Quelle all unserer Macht. Und wenn wir es finden, wird unser Volk unbesiegbar sein!“

Die Worte hallten in meinem Geist wider und vor meinem inneren Auge formten sich Bilder jener verlorenen Städte – die Legenden über diese Orte kannte jedes Kind der Vila. Städte, in denen die alten Vila unglaubliche Maschinen geschaffen hatten, die Berge zermalmten, Feuer in den Himmel spuckten und selbst Schiffe in die Lüfte zu heben imstande waren. Sie waren das Herz des alten Reiches, das vor Jahrhunderten im Kataklysmus untergegangen war.

Der Jubel, der darauf folgte, ließ den Boden unter meinen Füßen vibrieren. Es war ein unbändiger Lärm – ein Geräusch, das den Willen eines Volkes zum Ausdruck brachte, das nach Größe dürstete. Selbst ich, ein Fremder in dieser Stadt, fühlte das Drängen dieser Worte in mir. Ugroz sprach nicht nur zu den Vila. Er sprach zu all denen, die nach Macht und Bestimmung suchten.

Die Zeremonie endete. Und als sich die Menge zerstreute, trat Praporschtschik Altyk, ein Krieger von gewaltiger Statur, zu Ugroz. Ich konnte hören, wie er mit gesenkter Stimme sprach: „Die Kundschafter sind bereit, mein Herr. Sie warten nur auf dein Zeichen.“

Ugroz nickte. „Dann lass sie aufbrechen,“ sagte er ruhig. „Sie sollen das Tal finden, in dem die größte unserer alten Städte ruht. Dort wird das Herz von Zhirnitskrad auf uns warten.“

Als Altyk sich entfernte, um den Befehl auszuführen, stand Ugroz allein auf der Plattform, seinen Blick fest auf den Horizont gerichtet. Ich sah, wie seine Finger leicht zuckten, als ob er bereits spüren konnte, wie das Feuer des alten Reiches durch seine Adern floss. In diesem Augenblick wusste ich: Dies war ein Mann, der sein Volk durch die Asche der Vergangenheit in eine neue, glühende Zukunft führen würde.

Ich wandte mich ab und machte mich auf den Weg zurück in meine Heimat, die Nebelwälder, meine Schritte schwer von dem, was ich gerade miterlebt hatte. Ugroz Velki hatte seine Herrschaft angetreten, doch ich spürte, dies war nur der Anfang. Bald würde die Welt erfahren, was es bedeutete, die Vila in ihrem Streben nach Größe zu unterschätzen.

Denn das Feuer von Zhirnitskrad würde wieder brennen – und ich, Ondrej, erschauderte beim Gedanken an das, was an diesem Tage erst begonnen hatte.

verfasst von Ondrej, Händler aus den Nebelwäldern

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