Es wird erzählt, dass tief in den endlosen Wäldern des sagenumwobenen Landes Yntheria ein uraltes Volk lebt, das nur in Liedern und Legenden als die Kenga’rnashi bekannt ist. Man sagt, sie seien so alt wie die ehrwürdigen Bäume, die ihre Heimat durchziehen, und ihre Geschichte sei untrennbar mit einem rätselhaften Ereignis verwoben, das sich wie ein Schatten durch die Jahrhunderte zieht: der Fall eines Sterns, der einst den verlorenen König zu ihnen zurückbringen werde. Seit unzähligen Generationen wartet das Volk der Kenga’rnashi auf den einen Tag, an dem die uralte Prophezeiung sich erfüllen und ihr Volk wieder geeint sein wird.
Es heißt, die Kenga’rnashi entstammen einer Zeit, als die Magie noch ungebändigt und wild über die Welt strömte, weit bevor der Kataklysmus die Erde erschütterte und der Aschenebel den Himmel verdunkelte. In den ältesten und bruchstückhaftesten Legenden ihres Volkes wird erzählt, dass ihre Ahnen aus der Verschmelzung von Sternenlicht und dem Urgeist des Waldes geboren wurden. Man sagt, sie trugen die Weisheit der Himmelsweiten und die unbändige Lebenskraft der Erde in sich, wodurch ihnen Kräfte zuteilwurden, wie sie kein anderes Wesen je gekannt hatte. Die Kenga’rnashi galten als Meister der Naturmagie, fähig, mit den Geistern der Bäume, Tiere und Flüsse zu sprechen, so erzählt man sich. Ihr Wissen über die Geheimnisse der Natur war unerreicht, und es heißt, sie lebten in einem Einklang mit ihrer Umgebung, wie es seit jenen fernen Zeiten niemand mehr vermochte.
Leider ist dieses Wissen im Kataklysmus trotz aller Anstrengungen der Gelehrten verloren gegangen.
Die Legende erzählt von einem vergangenen Zeitalter, in dem das Volk von einem weisen und gerechten König regiert wurde, der den Namen Ardhen trug. Ardhen war ein Krieger und Gelehrter, dessen Macht und Weisheit ihn zu einem der größten Herrscher von Yntheria machten. Doch in einer schicksalhaften Nacht, als ein blutroter Komet den Himmel durchquerte, verschwand Ardhen spurlos. Sein Verlust stürzte das Volk in tiefe Trauer, und obwohl die Kenga’rnashi weiterlebten, war ihr Land ohne ihren König unvollständig.
Bevor Ardhen verschwand, sprach er eine Prophezeiung aus: Eines Tages würde ein Stern vom Himmel fallen und den Weg zu seiner Rückkehr weisen. Seit diesem Tag beobachteten die Kenga’rnashi den Himmel, stets auf der Suche nach dem Stern, der ihr Schicksal erfüllen würde.
Über die Jahrhunderte hinweg lebten die Kenga’rnashi in einem Zustand der Erwartung und der Vorbereitung. Ihre Gesellschaft entwickelte sich um die Prophezeiung herum, und viele ihrer Bräuche und Rituale wurden von der Hoffnung auf die Rückkehr des Königs beeinflusst. Jeden Abend versammelte sich das Volk auf den Lichtungen des Waldes, um in stiller Ehrfurcht in den Aschenebel zu blicken und auf ein Zeichen zu hoffen.
Die Kenga’rnashi sind in Clans unterteilt, von denen jeder eine bestimmte Aufgabe hat, die mit der Prophezeiung in Verbindung steht. Der Clan der Bewahrer ist für die Pflege der alten Schriften und Legenden verantwortlich, während der Clan der Krieger die Fähigkeiten des Kampfes und der Verteidigung weitergibt, um das Volk in der Zeit der Rückkehr zu schützen.
In den schwammigen Erzählungen, die über Jahrhunderte weitergegeben wurden, wird der verheißene Tag beschrieben. In eine Nacht, in der der Aschenebel noch dichter als sonst zu sein schien, brach ein gleißender Stern durch den Nebel, erhellte den Wald und ließ die Bäume in silbrigem Licht erstrahlen. Die Kenga’rnashi eilten zu den heiligen Lichtungen, wo der Stern herabgesunken war und sahen, wie er sanft auf die Erde niederfiel, ohne zu verbrennen.
Aus dem leuchtenden Kometen stieg eine Gestalt empor, gehüllt in strahlendes Licht. Es war Ardhen, der lang vermisste König, zurückgekehrt von den Sternen. Sein Antlitz war jung und alt zugleich, und er trug eine Krone aus Sternenstaub. Die Kenga’rnashi fielen auf die Knie und begrüßten ihren König, dessen Rückkehr die Erfüllung ihrer Prophezeiung bedeutete.
Die lückenhaften Aufzeichnungen berichten darüber, dass Ardhen zu seinem Volk mit einer Stimme, die wie das Flüstern des Windes klang, sprach. Er erzählte ihnen, dass er auf einer langen Reise durch das Universum gewesen sei, worüber er jedoch nichts berichten könne, da er in einer Art Tiefschlaf war, der sehr wahrscheinlich durch den großen Kataklysmus ausgelöst worden war. Er erinnerte sich an nichts mehr vor seiner Landung.
Über die Generationen hinweg wird unter den höchsten Bäumen erzählt, dass unter seiner Führung die Kenga’rnashi eine Wiedergeburt erlebten. Die Wälder, die sie umgaben, erblühten in nie gekannter Pracht, und das Volk erlangte neue Kräfte, die Sie schon vergessen geglaubt hatten. Ardhen lehrte sie, den Nebel nicht zu fürchten, sondern ihn als schützenden Gürtel anzunehmen. Die Clans vereinten sich, und das Volk war stärker und geeinter als je zuvor.
Noch heute, viele Generationen später, erzählen die Kenga’rnashi die Geschichte vom gefallenen Stern und der Rückkehr ihres Königs. Sie bewahren das Erbe ihrer Vorfahren, leben im Einklang mit der Natur und blicken weiterhin in den Nachthimmel – nicht mehr in Erwartung, sondern in Ehrfurcht vor dem Aschenebel, der sich langsam aber sicher immer weiter zurückzog und das Land freigab.
Niedergeschrieben von Gral’thar, dem blinden Seher,
tief im Herzen Yntherias am Anfang der Neuzeit