Es ist nun schon einige Tage her, dass diese unnahbaren wie abschreckenden Feylar mich gefangen nahmen, um mich schließlich nur ihrer Shi’Bath vorzustellen und die Stadt Lan’Dalur zu zeigen. Und eigentlich hatte ich auch vorgehabt, all diese Bilder von knöchernen Dächern, Fenstern und Säulen der Stadt zu vergessen. Doch im dritten Mondlauf, seitdem der Aschenebel sich zu lichten begann, traf ich sie erneut.
Ich war gerade an den Ufern des hiesigen Flusses Uldaran unterwegs, als ich in einiger Entfernung mir bekannte Gestalten vernahm. Es waren erneut drei Feylar, die augenscheinlich miteinander diskutierten. Sie schienen mich noch nicht bemerkt zu haben. Ich spürte, wie sich kalter Schweiß auf meiner Stirn bildete und ich ahnte bereits, was ich tun würde, bevor es mir wirklich selber bewusst war: ich näherte mich so leise ich konnte. Vielleicht konnte ich ja erfahren, worüber sie stritten.
Mit jedem Schritt nahmen die Wesen scheinbar an Körpergröße zu. Alle hatten diese unnachgiebigen, kalten hellblauen Augen, die einem die Seele gefrieren lassen könnten, wenn man sie nur lange genug anschauen würde. Auch dieses mal trug einer der Feylar eine imposante Rüstung aus Knochen, mit zahlreichen filigranen Knöchelchen zur Verzierung. Sein Gesicht war ebenfalls mit Knochenauswüchsen übersät. Zwar sah dies durchaus grotesk und abstoßend für das ungewohnte Auge aus, aber gleichzeitig hatte es eine Ästhetik, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Er trug einen großen Speer aus Knochen bei sich. Die zweite Person war eine Frau in lederner Kluft mit allerlei Federn und Blättern geschmückt. Ihre Gesichtskonturen waren weicher und ihre Knochenauswüchse wirkten eher wie Schmuck im Gesicht. Das lange dunkle Haar war geflochten und gepflegt, ganz im Gegensatz zu dem kurzen weißen Haar des Herren. Sie trug einen Bogen und Pfeile bei sich. Die dritte Person im Bunde war abermals ein Herr in langen, dunklen Roben gekleidet. Auf seiner Nase trug er eine Brille und anstatt eines vollen Bartes, hatte er Knochenauswüchse, die die Form eines Bartes nachempfunden waren. Er hatte überwiegend eine Glatze und nur an den Seiten waren noch braune Haare zu erkennen.
Als ich mich hinter einem Busch versteckte, erkannte ich, worüber sie stritten. Offenbar hatte die vermeintliche Jägerin Beute gemacht und sie diskutierten, was nun mit dem Kadaver geschehen solle. Während die Jägerin auf ihr Recht der Beute pochte und darauf bestand, das Tier selbst in die Stadt zu bringen, um es zu Nahrung und Materialien zu verarbeiten, beharrte der Herr in der Knochenrüstung darauf den Leib an sich zu nehmen, um aus den Knochen Schmuck und Werkzeug zu machen. Außerdem war es ihm wichtig, dass das Tier unversehrt bliebe, damit die Weisen mit dem unbefleckten Blut ihre Rituale durchführen könnten. Der Mann, der den Eindruck eines Weisen machte, hielt sich auffällig zurück. Genau genommen schien ihm der Streit egal und als seine Augen zu wandern begannen, erblickte er mich.
Ich wusste, dass ich erneut entdeckt worden war und ein weiteres Verstecken keinen Sinn ergeben würde. Abermals blinzelte ich, während mein Herz einen Sprung machte und ich letztlich aufstand und mit gehobenen Händen auf die Feylar zuging. Sogleich nahm der Herr in Knochenrüstung seinen Speer in die Hand und ging eisernen Schrittes mit der Waffe auf mich gerichtet zu. Seine Stimme war seltsam metallisch und eindringlich. Der Klang stockte mir sogleich den Atem. „Ihr habt uns ausspioniert. Dafür werdet ihr sterben!“ Ich wedelte abwehrend mit den Händen und stammelte Wortfetzen vor mich hin. Die Entschlossenheit des Kriegers hatte mich kalt überrascht. Ich begann meine letzten Worte im Kopf zu rezitieren, als eine weibliche Stimme forsch erklang: „Halt, Tal’Badrin. Er ist womöglich derjenige, den wir suchen!“ Der Krieger blieb sofort stehen und legte seinen Kopf schief. Er schien mich eindringlich zu mustern, blickte dann zu der Jägerin zurück. „Dieser Weichling soll derjenige sein, der unsere Shi’Bath derartig beeindruckt hat?“, hakte der Krieger nach. „Die Beschreibung passt gut. Es war nicht seine Erscheinung, die Eindruck gemacht hatte, sondern seine Fähigkeit auf geheimnisvolle Weise mit anderen Völkern kommunizieren zu können. Er berichtete davon, einen Möglichkeit zu haben, Geschichten von anderen Wesen zu hören und gleichzeitig auch von uns berichten zu können. Telara Sin’Qilial möchte ihn an ihren Hof führen, um von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen.“, erklärte die Jägerin, als sie galant an dem Krieger vorbei auf mich zuging. „Die Frage ist nur… wollt ihr dies auch?“
Ihre Augen musterten die meinigen eindringlich und ich unterdrückte mit aller Macht den Drang wegzusehen. Was sollte ich nur tun? Mich erneut in das Reich Ely’Thien begeben, um dort am Hofe der Shi’Bath zu arbeiten!? Ich zögerte und wurde zunehmend unsicher. Mein Blick konnte dem ihrigen nicht mehr standhalten, als sie schließlich weiter sprach, ruhiger und sanfter: „Es ist nicht unser oder Telara Sin’Qilials Ansinnen, euch zu verunsichern. Es obliegt euch ganz allein, den Posten eines Schreibers unserer wahrhaftigen Shi’Bath anzunehmen. Doch wenn ihr dies tut, so soll dies auch entsprechend gewürdigt und belohnt werden.“ Meine Gedanken rasten… einerseits weigerte sich nahezu jede Faser in meinem Körper dieses Angebot anzunehmen. Andererseits waren diese Feylar faszinierend und es wäre die erste Möglichkeit in meinem Leben, meine Gabe nützlich zu machen. Ich zögerte noch etwas, atmete tief durch und nickte dann schließlich knapp. „Mein Name ist Jordan Hardlinger und ich nehme das Angebot an.“ Meine Stimme war weitaus weniger überzeugend, als ich es versucht hatte wirken zu lassen, aber die Jägerin lächelte mir mit einer Mischung aus Zuspruch und Belustigung zu. Der Krieger wiederum lachte unverhohlen über meine kümmerliche Darbietung. „Nun dann… bleibt noch das Problem mit „eurer“ Beute, Shey’Kalin.“
Ich tat es dem Weisen gleich und hielt mich aus dem Streit heraus, den letztlich Tal’Badrin für sich entscheiden konnte. Der Körper würde zum Haus Kal’Dar gebracht werden, wo er für diverse Rituale genutzt und vorbereitet werden würde. Auch wenn ich jetzt schon diverse Befürchtungen hatte, was mit dem armen Tier passieren könnte, so war meine erste Neugier geweckt. Ich würde für eine Königin, nein, eine Shi’Bath arbeiten. Ob ich dies bereuen werde, vermag nur die Zeit zeigen.
Jordan Hardlinger,
Reisender und Geschichtenschreiber Darshivas