Vetter Wind und Mutter Donner – Geschichten aus den Sanden

„Hört, oh Kinder der Gemeinschaft, eine neue Geschichte – eine Geschichte von jenen, die dem Ruf der Wüste folgte und davon berichteten, anders als zahllose vor ihnen, die der Aschenebel verschluckte. Wie einst unsere Ahnen schritten sie in den goldenen Schein, den die Sonne über die Sande ergoss und lauschten den Liedern im Wind, um ihnen zu folgen. Hört die Geschichte von den Geschwistern Kiran’Sol, dem Strahl des Lichts, der Hoffnung und ein Ziel bringt, und Arinai’Tor, der starken Beschützerin, deren Schritte erst der Sturm aus dem Sand tilgt, so fest ist ihr Tritt.

Die eine, Arinai’Tor, folgte dem Wind, um sich von ihm leiten zu lassen, hinaus aus Shānti’Kāla, hinaus selbst aus Sāndari’Rai’Kāla, dem Ort, an dem das himmlische Feuer unsere Gemeinschaft spendete. Deutlich wurde es schon bald, dass nicht alle, die, unzufrieden mit dem Leben in der Gemeinschaft der Sippen, die eine wurden, den Tod in der Wüste oder das Vergessen in den Nebeln der Asche gefunden hatten, und feindlich traten sie ihr gegenüber. Aufgewiegelt hatten sie jene, die ihnen Aufnahme gewährt hatten, und in ihr Verderben hätten sie sie geführt, hätte nicht mahnender Donner, der schon die Einheit der Sippen gestiftet hatte, die Entschlossenheit ihrer Gastgeber erschüttert wie der Wüstensturm das Sandgebilde eines Kindes verweht. Kurz war daher der Kampf, den zwei von drei Seiten nicht gesucht und nicht gewollt hatten, und freundlich die Aufnahme des Kundschaftertrupps in den Zelten. Jene Bewohner, das sage ich Dir, sind uns nicht unähnlich an Gestalt, und schon bald werden sich unsere Herden mit ihren mischen, bis auch der Weiseste sie nicht mehr auseinanderkennt. Und so kommt es, dass durch IHRE Stärke nun auch jene südlichen Brüder und Schwestern im Schutz der Gemeinschaft leben. Und so sprach SIE zu den ihren:

„Mutter Donner war es, die heute Blutzoll unter jenen, die noch nicht verloren waren unter den Kindern des Sandes, klein gehalten hat. Mutter Donner, die am Ort unserer ersten Siedlung Einigkeit spendete, indem sie ein Machtwort sprach, größer noch, als ihre Mahnung heute. Lasst uns Mutter Donner ehren, als die Wächterin über unsere Ein-heit.“ Und so geschah es.

Der andere, Kiran’Sol, beschloss, den Ursprung des Windgesangs zu ergründen und wandte sich gegen den Strom des Windes, der hohe Dünen herab auf unsere Siedlung weht. Beschwerlich war der Weg, und unsicher der Pfad, stets in Gefahr, durch rutschende Sandmassen zurückgetrieben oder gar begraben zu werden, doch gleich dem Lichtstrahl, dessen Name er trägt, leitete er seine Begleiter durch alle Tücken der Wüste. Auch er traf wilde Stämme, die von einer Einigung nichts wussten, doch begierig waren, von ihr zu hören. Mit seinen Worten pflanzte er die Sehnsucht und die Hoffnung nach Gemeinschaft in ihre Herzen, und willkommen wurde er geheißen in den Zelten und an ihren Feuern, wie wir sie in unserer Mitte willkommen heißen. Und so sprach er zu ihnen:

„Vetter Wind war es, der uns hier zusammengeführt hat. Der lustige, abenteuerlustige Wind, der in einem Augenblick ein Abenteuer beginnen lässt, und der im nächsten Atemzug dessen Ausführung beinahe unmöglich macht, weil er den Sand bewegt und den Boden unsicher macht, weil er sich einen Spaß daraus macht, die Sicht mit Staub zu verwirren. Doch ohne ihn wären wir heute nicht hier, und darum wollen wir ihm danken.“ Und so geschah es.

Lange war der Aschenebel unser Gefängniswärter, doch die Zeit ist gekommen, dass wir uns aus dem Versteck wagen wie die Wüstenmaus, wenn die Wut des Sandsturms verklingt, auf das dem Lied unserer Gemeinschaft neue Strophen und neue Klänge hinzugefügt werden. Denn seht, Kinder, die Welt ist voll von Geistern wie denen von Donner und Wind, und unsere Taten lassen sie nicht unberührt.“

Geschichtenerzähler der Sāndari’Māna, neuzeitlich

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